Das
WGT und seine gedanklichen Erbschaften
Es ist deprimierend! Vom WGT in den Alltag gekommen, versucht man, irgendwo
atmosphärischen Anschluss zu bekommen, oder sich zumindest mit Gleichgesinnten
zu umgeben, wenn möglich mit solchen, die einen während des Treffens begleitet
haben. Hier ist das kaum möglich, denn abgesehen vom besten Freund, in meinem
Falle weiblich, war niemand aus der Umgebung mit. Schwarze gibt es hier auch
nicht wirklich, sieht man mal von einigen wenigen Spinnern ab, die meinen schwarz
zu sein, es aber nicht weiter bringen, als bis zu ihren Klamotten und der
Erfüllung diverser Klischees. Was bleibt einem da noch, außer das Internet,
doch auch da nur hohles Gefasel. Was nützt ein Chat, in welchem übers Essen zur
Mittagspause, die letzte Zugfahrt, die Arbeit oder sonst was geredet wird.
So also wie beinahe immer nur ein Monolog zur seelischen Schwere, denn an
verständigem Umfeld fehlt es. Meine mir liebste aller Personen hütet bereits
das Bett, woraus folgt, dass ich wie immer allein in einer Wohnung sitze, keine
Lust auf verdummendes fern sehen, lesen oder all den anderen Kram habe, mit
welchem man versucht den Tag herum zu bringen, paar Zeilen zu schreiben,
um mich zu erleichtern. Wozu das Ganze? Ich weiß es nicht! Weiß nicht, ob das
hier überhaupt jemand zu Augen bekommt, und wenn, wen würde das interessieren?
Keine Ahnung, ob das überhaupt druckreif wäre, würde ich in Erwägung ziehen,
dies in ein Buch zu packen, keine Ahnung, ob sich jemand daran ergötzt, erfreut
oder inspiriert fühlt. Erst einmal schreiben, damit die Last von den Schultern
ist, welche ihrer Aufgabe zu quälen pedantisch nachkommt.
Zurück in einer Realität, die im Grunde die Einzige ist, wünsche ich mir nichts
sehnlicher, als die andere Realität, die eine Art andere Welt darstellt und
somit eigentlich unreal ist, da sie nicht auf ewig exsistiert. Diese andere
Welt, welche sich dem schwarzen Herz bietet, weilt es an Pfingsten in Leipzig
ist der grundsätzlichen so fremd, dass die Depressionen, die nach der Heimkehr
folgen, ist eine so derartig verführende, dass innerhalb weniger Stunden das
eigentliche Hier völlig unvorstellbar ist. Und so lebt man in einer Art Heimat,
welche nicht abhängig von Ort oder Zeit ist, denn egal ob das Treffen an
Pfingsten in Leipzig, oder zu Ostern in was weiß ich wo ist, es ist das
Treffen, die fünf Tage, an denen man sagen kann: Hier und nur hier fühle ich
mich wirklich wohl.
Es ist tatsächlich so, dass man Leuten, die einem auf der Strasse begegnen und
in Schwarz gekleidet sind, mehr Aufmerksamkeit schenkt, zu ihnen gehen und sie
einfach ansprechen will, denn das ist ein Punkt, der das Treffen so unheimlich
schön macht: Der Fakt, Menschen, die man noch nie zuvor gesehen hat,
anzusprechen, mit dem Wissen, dass man sich versteht, ohne erst große
Statements abzulegen, warum, wieso weshalb. Dann aber wird man eingeholt von
dieser niederreißenden Realität und weiß, es hat keinen Sinn, diesen Menschen
anzusprechen, denn es ist ja doch nur irgend so ein Trampel, der keine anderen
Sachen außer eben diese Schwarzen hat, weil der Rest in der Wäsche ist, oder
man bemerkt, dass es nur eine ältere Dame (oder Herr) war, die gerade vom
Friedhof kommt, oder gar einen nahestehenden Menschen zu Grabe trug, oder es
ist einer dieser Pseudo- Grufties, die nicht wissen, dass es hinter Klamotten
und Musik auch noch eine Philosophie gibt und verliert das Interesse.
Automatisch stellt man sich die Frage, warum es nicht das ganze Jahr so sein
kann, wie auf dem Treffen und automatisch stellt das realistische Denken die
Gegenfrage, ob es dann noch etwas Besonderes wäre, und wiederum kommt eine
Frage des eigentlichen Ichs, ob es denn etwas Besonderes bleiben soll, oder
muss. Fühlt man sich dann nur wohl, wenn das Treffen etwas Besonderes ist?
Würde eine Art Routine all das zerstören, was das WGT so einzigartig macht,
oder ist das etwas, das anstrebenswert ist, es als etwas Dauerndes zu genießen?
Ich weiß es nicht, doch ich glaube schon, dass das Flüchten aus all dem, was
uns sonst umgibt dem WGT seinen Reiz verleiht und es zu einem "nach Hause
fahren in die andere Welt" macht.
Ganz plötzlich muss man sich nicht mehr Gedanken machen, wann wohl der beste
Zeitpunkt zum Duschen ist, um nicht lange anzustehen und dennoch warmes Wasser
zu haben, oder sich vor dem Dixi ekelnd lieber dazu durchringen, doch fünfzig
Cent zu bezahlen, damit man halbwegs ordentlich den Abgang des Fast Foods und
dem übermäßigen Genuss der Alkoholikas zu "frönen". Plötzlich wacht
man nicht mehr auf, weil die Zeltnachbarn zu laut sind oder die Nacht zu kalt.
Plötzlich sitzt man nicht mehr mit Freunden am Campingtisch vor dem Zelt,
tauscht nächtliche Erlebnisse aus, während man -eher aus Vernunft- frühstückt
und den Verlauf des Tages plant, um dann doch etwas völlig anderes zu machen.
Plötzlich ist da nicht mehr diese vertrauliche Offenheit von Menschen, die man
nie zuvor gesehen hat und das Gefühl, welches Goethe bereits in einem anderem
Zusammenhang beschrieben hat, dieses "Hier bin ich Mensch, hier darf ich
sein!" Gefühl. Plötzlich ist da das, was schon immer war, der Druck des
Alltags, die belastende Wirklichkeit. Und plötzlich mischt sich dieses Schwarz
des Treffens wieder mit dem Weiß der Realität und lässt selbige ergrauen.
Da sitzt man dann, allein, vor einem weißen Blatt Papier, schreibt seine Gedanken
nieder, und fragt sich, ob das überhaupt Sinn macht und weiß: nächstes Jahr
wieder! (sofern nichts dazwischen kommt)
Auch wenn ich in diesem Jahr nur zwei Bands zu sehen bekam, was wohl an meiner
Tranigkeit liegt und der Tatsache, mich selbst nicht unter Druck setzen zu
wollen, war es wie immer das Größte, das, was ich als mein persönliches
Sylvester bezeichne. Was die Pilgerfahrt nach Rom für den Christen, ist für
mich das alljährige Treffen in Leipzig. Und was die Bands angeht, natürlich
will man "für sein Geld auch etwas geboten haben", aber ist es die
Atmosphäre nicht wert? Allein der Atmosphäre wegen, der Leute auf dem Platz,
der Gespräche und er Möglichkeit, Menschen kennen zu lernen, fahre ich zum WGT
und wenn ich zufällig, nebenbei noch die ein oder andere Band zu sehen bekomme
ist das natürlich etwas, dass das Treffen noch gelungener macht.
Menschen jüdischem Glaubens haben irgendwann die Redewendung (oder besser
Grußform?) "nächstes Jahr in Jerusalem" geprägt, und auch wenn die
Umstände nur halb so tragisch sind, will ich diesen Spruch für mich verwenden,
in dem ich sage: "Nächstes Jahr in Leipzig"
...in diesem Sinne...
das Du im Ich